20190511

Willkommen zu Hause!

Photo by Federico Rizzarelli on Unsplash

Die Schiffswerft war immer noch ein faszinierender Anblick, wie sie im Orbit von Thlybigna schwebte. Groß und majestätisch. Lance McCrae hielt einen Moment inne. Er sah die Werft und die Welt, die sie umkreiste. Von hier aus war die EUROPE zu ihren Reisen aufgebrochen - vor ziemlich genau 27 Jahren. Er blickte auf das Chronometer, das in der Wand eingelassen war.

Tag 9871, Bordzeit: 19.00 Uhr

stand da. Unermüdlich hatte die Uhr gezählt, seit der ersten Stunde. 9871 Tage. Wieviele davon war er wohl nun schon auf der EUROPE?

Er schüttelte den Gedanken ab. Wenn er sowas ausrechnete, fühlte er sich nur alt. Es war schon einige Zeit her, dass er auf der HOOD gearbeitet hatte. Die Kollegen von damals hatte er seither nicht mehr gesehen. Seit jenen Ereignissen, als...

Auch diesen Gedanken schüttelte er ab. Das war Vergangenheit, beschloss er. Die Reflektion in dem Außenfenster des wissenschaftlichen Labors erinnerte ihn schmerzlich daran. Er war älter geworden.

Lance ging von dem Fenster weg herüber zu einem Tisch, an den mehrere Geräte eingebaut waren, die der Forschung dienten. Nicht unüblich für die wissenschaftliche Abteilung. Unüblich jedoch war, dass die Geräte allesamt heruntergefahren waren. Das wissenschaftliche Labor wurde langsam in den Ruhemodus versetzt.

"Achtung, Besatzung, hier spricht Captain Kl'AmbH!", war über die Lautsprecher zu hören. "Wir haben in Kürze die endgültige Position in der Raumwerft von Thylbigna erreicht. Die Führungsoffiziere finden sich an Schleuse 17 ein, es gibt einen offiziellen Empfang. Für alle anderen Besatzungsmitglieder beginnt der Landurlaub. Wenn die Arbeiten an der EUROPE beendet sind, erhalten Sie eine Nachricht."

Kaum war die Durchsage beendet, als Lances Kommunikator piepte.
"McCrae hier", meldete sich der Wissenschaftler.
"Hey Lance, hier ist Fevari", klang eine weibliche Stimme aus dem Lautsprecher. "Du hast die Durchsage wahrscheinlich gehört. Gehst Du gleich los in Richtung Schleuse?"
McCrae sah sich um. Er war allein, die Mannschaft des wissenschaftlichen Labors war schon vor einer halben Stunde in die Quartiere gegangen, um ihre Sachen zu richten, die sie für den Landurlaub brauchen würden. Die Geräte waren alle deaktiviert.
"Ja, ich denke, ich mach mich gleich auf den Weg. Warum fragst Du?", antwortete er.
"Vielleicht können wir zusammen gehen", meinte sie. "Captain Kl'AmbH hat gesagt, dass der Gouverneur von Thlybigna uns in Empfang nehmen wird, da möchte ich nicht allein aufkreuzen."
"Der Gouverneur? Beim Zeus, da tun wir tatsächlich besser daran, nicht allein dazu zu kommen." Er sah nochmal aus dem Fenster. Aus der Perspektive des Labors konnte man jetzt sehen, wie riesige Greifarme an die Seite des Schiffes gefahren wurden, die es in seiner endgültigen Parkposition verankern sollten. "Okay, ich komme rüber."

Auf dem Weg durch die Gänge der EUROPE kreisten Lances Gedanken um den Empfang. Der Gouverneur. Auch das noch. McCrae hatte die Politik der Gunafírischen Kolonialföderation nie verstanden. Irgendwie bestand die politische Landschaft zum Teil aus Adelsfamilien und zum Teil aus Parteien, die gewählt werden konnten. Thlybignas Gouverneur entstammte einer der Adelsfamilien, was an sich - so empfand es zumindest Lance - keine gute Ausgangsposition war. Der Gouverneuer von Thylbigna gehörte dem Haus der Vertner an, dem eigentlich ganz vernünftige Leute entstammten. Aber offenbar musste jede Familie einen merkwürdigen Onkel haben, der auf Familienfeiern im Eck sitzt, über die Ungerechtigkeit des Universums schwadroniert, behauptet, früher sei alles besser gewesen und sich auch ansonsten so zum Fremdschämen peinlich verhielt, dass sich die anderen Familienmitglieder fragten, warum dieser Onkel auch immer zu Familienfeiern eingeladen wurde.

Gouverneur Phalbor Rimes vra Vertner - das "vra" bedeutete so viel wie "von", und darauf bestand er! - war dieser merkwürdige Onkel. Obwohl er Gouverneur nur eines Systems in einem Systemgebiet war, das wiederum der Kolonialföderation untergeordnet war, also bestenfalls ein Lokalfürst, machte er vieles, um nach Aufmerksam zu heischen. Dann sagte er Sachen. Dumme Sachen. Beleidigende Sachen. Wie besagter Onkel beim Familienfest, nachdem er sich etliche Gläser eines alkoholischen Getränks hinter die Binde gegossen hatte. Das Problem war nur, dass Phalbor Rimes vra Vertner immer nüchtern war, wenn er zu seinen Tiraden anhob.

Lance bog um eine Ecke und traf auf Fevari. "Hi", sagte sie, "lass uns lieber schnell gehen."
"Ja, aber nur wegen dem Captain", erwiderte Lance.
"Wie?"
"Lass uns zu dem tollen Empfang gehen, aber nicht wegen dem mit der Muffe gepufften Gouverneur. Lass uns gehen, um Captain Kl'AmbH zu unterstützen."
"Gute Idee."
"Typen wie der sind der Grund, warum wir eine Krise in der Planetenunion haben. Wenn das so weiter geht, werden die Separatisten die Gemeinschaft auseinander reißen."

Die beiden trafen kurz darauf bei Schleuse 17 ein. Der Rest der Führungsoffiziere der EUROPE war schon versammelt.
Captain Kl'AmbH sah sich um. Neben ihr waren da Commander Frank, Sommerron, Gorrrth, Fevari Vivala, McCrae, Etee, Arenath, Brailing, Roivo und Kas'PaH. "Wir sind vollständig", stellte sie fest, "dann wollen wir mal!"

Die Schleuse öffnete sich. Wie befürchtet stand auf der anderen Seite bereits Gouverner Phalbor Rimes vra Vertner mit einem Offizier der Sicherheit und wartete. Kl'AmbH trat nach vorne.
"Die USS EUROPE meldet sich im Dock zurück zu Überholungsarbeiten, Sir!", sagte sie.
"Hm", brummte vra Vertner. Es war absolut nicht zu erkennen, wie das gemeint war. Doch der Blick sprach Bände. Missmutig sah Vertner die Führungsoffizier des Flaggschiffs der AMBASSADOR-Klasse an.
"Dessarut", brummte er, "Terraner, Insektoid und Cordiera..." Demonstrativ drehte er sich zu dem Wachmann um und von den Offizieren der EUROPE weg. "Das sind die Führungsoffiziere der EUROPE?", fragte er, ohne allerdings wirklich eine Antwort zu erwarten. "Nach welchen Kriterien wurden die denn ausgewählt? Die Schiffe der AMBASSADOR-Klasse sollen doch unsere Gemeinschaft repräsentieren. Aber was für eine Gemeinschaft wird hier abgebildet?"

Er murmelte dem Sicherheitsoffizier etwas zu, dann stakste er ohne noch ein Wort zu verlieren davon. McCrae legte Kas'PaH die Hand auf die Schulter. Er hatte gemerkt, dass selbiger den Drang hatte, den Herrn Gouverneur aus einer Luftschleuse zu werfen.
"Mach Dir an dem die Hände nicht schmutzig", meinte Lance, "der Formularkram hinterher ist die Hölle!"
"Wow", sagte Frank mit minderer Begeisterung, "das war... das war... irgendwas!"

Die Offiziere wussten nicht so recht, was sie tun sollten. Vor ihnen stand noch immer der Wachoffizier. Das Bild wirkte ein wenig surreal, der Offizier in seiner dunklen Uniform in dem Gang mit weißen, geschwungenen Wänden und dem blauen Fußboden. Die blauen Leuchten, die in die Decke eingelassen waren, gaben dem ganzen ein beinahe künstlerisches Aussehen.

Der Wachmann zuckte mit den Achseln. Sinnigerweise war er ebenfalls Terraner. "Auf Anweisung von Lokalgouverneur Phalbor Rimes vra Vertner wird ein Empfang im großen Saal ausgerichtet anlässlich ihrer Rückkehr. Ich soll sie dorthin bringen."

Er wandte sich schon um, um voraus zu gehen, doch dann hielt er nochmal inne und sah die Brückencrew der EUROPE direkt an.

Dann sagte er: "Willkommen zu Hause!"